22.12.2022

Reisetagebuch vom Ukraine-Hilfstransport

„Ich bin tief beeindruckt“
Seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine versorgt das Kolpingwerk Rumänien vom Kolpingzentrum Oituz aus das Kolpingwerk in der Ukraine mit wöchentlichen Hilfstransporten. Als Partnerverband der Region Moldau in Rumänien haben wir im Diözesanverband Münster diese Transporte mit über 50.000 Euro an Spenden unterstützt.
„Ich bin tief beeindruckt. Über die Aktivitäten des Kolpingwerkes in der Ukraine, über den großen Einsatz, den Mut und Durchhaltewillen der ehrenamtlich Verantwortlichen, Kolpingmitarbeiter:innen und aller Menschen die ich dort getroffen habe.“ Das ist das Fazit von Matthias Knauff. Der Vorsitzende des  Diözesanfachausschusses „Internationalität und Eine Welt“ war im Auftrag des Diözesanvorstandes beauftragt worden, den 29. Hilfstransport durch Corneliu Bulai (Leiter des Kolpingzentrums) von Rumänien in die Ukraine zu begleiten, um die Solidarität zum Ausdruck zu bringen.
Seine teils abenteuerlichen Erlebnisse, 10-km-LKW-Schlangen, die Hilfsstationen und Städte, die sie anfahren, hat er in einem Reisetagebuch beschrieben. 

Spenden werden weiterhin dringend benötigt.

Kolpingwerk DV Münster e.V.

Stichwort: "Kolping Ukraine"

IBAN: DE64 4006 0265 0003 5203 33


Text: Rita Kleinschneider

Fotos: Kolpingwerk

Hier folgt der komplette Bericht von Matthias Knauff:

Am Mittwoch, den 5. Oktober bin ich pünktlich morgens in Oituz. Der Transporter wurde schon gepackt und steht abfahrbereit auf dem Hof des Kolpingzentrums. Wir transportieren Lebensmittel, Nudeln, Reis, Windeln, große Konservendosen, ein Krankenbett und Verbandsmaterial.
Es bleibt noch Zeit das Haus in Oituz zu besichtigen. Stolz präsentiert man mir einen größeren Abstellraum, der von Valentin, dem Hausmeister vom Kolpingzentrum Oituz, für die Zwischenlagerung der Hilfsgüter gebaut wurde. Alle Fahrzeugkosten und Aufwendungen für den Einkauf werden über Kolping Internation abgerechnet und somit auch durch unsere Spenden finanziert.
Mir wird klar, wieviel Aufwand mit den Transporten verbunden ist. Vieles muss beschafft, gekauft und bestellt werden. Die Waren werden zwischengelagert, in Kartons gepackt und beschriftet, in dem Raum zwischengelagert und mit bis zu drei Transportern wöchentlich in die Ukraine gebracht. Da ist die Transportfahrt in die Ukraine nur ein Teil der Arbeit. Und das alles mit vorhandenen Mitarbeiter:innenn und zusätzlich zu den bisherigen Aufgaben. Die Unterstützung der Kolpinggeschwister in der Ukraine hat für alle Beteiligten Priorität. Trotzdem laufen die Aktivitäten im Kolpingzentrum weiter. Im Haupthaus werden 37 Kinder, im Atelier 26 Kinder täglich betreut und mit Mahlzeiten versorgt.
Zusätzlich hat man eine leerstehende Autowerkstatt angemietet. Dort kommt am gleichen Tag ein Hilfstransport aus dem Diözesanverband Augsburg an. Ein 40-Tonner mit gespendeten Waren für den Krankenhausbedarf.
Um zielgerichtet zu unterstützen, richtet man sich nach einer Bestell-Liste aus der Ukraine. Die aufgelaufenen Sachspenden aus Deutschland ergänzen und erweitern die Hilfstransporte.
Corneliu Bulai, der Leiter des Kolpingzentrums, und ich fahren heute zu zweit am späten Vormittag los. Das Ziel ist Iasi, die Bischofsstadt der Region Moldau. Dort haben Corneliu und ich am Nachmittag ein Treffen mit dem Bischof.
Für die knapp 200 km benötigen wir fast 4 Stunden. Die Straßen sind zwar gut, führen aber mitten durch jedes Dorf und jede Stadt. Dank des guten Wetters haben wir etwas Zeit für einen kurzen Rundgang durch die wunderschöne Stadt.
Mir wird deutlich, wie gut Corneliu dort vernetzt ist. Wir besichtigen das Studio des Diözesanradios. Seit Ausbruch von Corona wird dort täglich um 19:30 Uhr eine kurze Gute-Nacht-Geschichte gesendet, die Corneliu produziert. Der Leiter des Senders hat außerdem einen der ersten Transporte in die Ukraine begleitet, von dem er mir tief beeindruckt berichtet.
Am Gespräch mit Bischof Iosif Paulet nimmt auch der Finanzchef der Diözese, Egidiu Condac teil. Ich erfahre, dass beide schon einmal mit Corneliu einen Hilfstransport begleitet haben. Das Bistum hat die Hilfstransporte finanziell unterstützt und, was fast noch wichtiger war, einen Antrag zur Förderung eines Transporters durch Renovabis unterstützt und somit die Beschaffung des Fahrzeugs ermöglicht. Es wird deutlich, wie sehr das Bistum von der Kolpingarbeit in Oituz und dem aktuellen Engagement für die Ukraine beeindruckt ist.
Wir übernachten im Priesterseminar. Am Donnerstag stehen wir um halb vier am Morgen auf, kurz vor vier Uhr sitzen wir im Transporter Richtung Grenze. Gegen sechs Uhr wird an einer Tankstelle kurz gefrühstückt. Ein Kaffee und ein Brötchen im Stehen. Dann geht es weiter.
Kaum kündigt Corneliu die Grenze in 10 km Entfernung an, beginnt sie schon: die längste LKW-Schlange die ich je gesehen habe. LKW an LKW und das über Kilometer. Alle warten auf die Grenzabfertigung. Durch den Krieg haben sich die Handelswege verlagert. Wir dürfen an den LKW vorbeifahren über die Gegenfahrbahn. Diese Spur wird dann mehrfach bei Gegenverkehr zum Nadelöhr.
An der Grenzstation haben wir dann „nur“ noch zehn Fahrzeuge vor uns. Corneliu zeigt die erforderlichen Unterlagen vor. Auch das habe ich so nicht erwartet. Es werden eine exakte Packliste und Ursprungsrechnungen (falls nicht vorhanden alternativ ein Schenkungsvertrag) zwischen den Kolpingwerken Rumänien und Ukraine sowie Kopien unserer Ausweise verlangt. Und ein Nachweis, dass Corneliu berechtigt ist , dieses Fahrzeug zu führen. Alle Dokumente müssen zweisprachig vorgelegt werden, rumänisch und ukrainisch. Ingrid Arvey, Kolpingmitarbeiterin in Brasov, hat all diese Übersetzungen vorab erledigt.
Corneliu präsentiert stolz seinen Reisepass. Eine Vielzahl an Stempeln. Nach rund 30 Minuten sind wir durch. Dann 200 Meter im Schneckentempo und wir erreichen die ukrainische Grenzstation. Corneliu erledigt die Formalitäten der Passkontrolle im Grenzhäuschen. Für den Zoll muss der Wagen geöffnet werden.
Fast lustig erscheint uns die von der Ukraine organisierte „Zettelwirtschaft“. Beim Einfahren in die Grenzstation bekommt jedes Fahrzeug einen kleinen Schmierzettel, auf dem der Grenzsoldat die Anzahl der Personen im Wagen notiert hat. Bei der Passkontrolle kommt ein Stempel auf den Zettel. Bei der Zollkontrolle auch. Und beim Verlassen des Geländes kontrolliert ein Grenzsoldat das Papierstück und prüft anhand der Stempel die vollständige Abarbeitung aller Stationen.
Willkommen in der Ukraine.
Auf einer gut ausgebauten Straße geht es 40 km weiter nach Czernowitz. Die Stadt hat 210.000 Einwohner:innen und beherbergt jetzt zusätzlich rund 60.000 Flüchtlinge.
In Czernowitz fahren wir über holpriges Kopfsteinpflaster. Die Farben wirken hier anders. Es erinnert mich etwas an frühere Besuche in der DDR. Einige Fahrzeuge sowjetischer Bauart kommen mir noch entgegen. Schnell erreichen wir die Zentrale des Kolpingwerkes Ukraine. Begrüßt werden wir von Vasil Savka, Geschäftsführer des Kolpingverbandes Ukraine. Er und vier weiterere Kolleg:innen betreuen die Projekte des Kolpingwerkes. In der Ukraine gibt es rund 500 Mitglieder. Ein Schwerpunkt der Projektarbeit war bisher eine Seniorenuniversität mit damals 11 Standorten und 1.200 Studierenden.
Ich überreichte Vasil ein Reinigungssystem für Wasser aus Kanistern, den „What a bird“, ein Produkt, das im Münsterland entwickelt wurde. Dieses reinigt Dreckwasser so zuverlässig, dass es als Trinkwasser genutzt werden kann.
Zusammen mit sechs Helfer:innen wird der Transporter entladen. Konserven, Nudeln, Reis, Duschgel, Hygieneartikel, Windeln, Schlafsäcke, Kleidung, Feuerlöscher und auch die Krankenliege werden entladen. Alles verschwindet im Erdgeschoss des Kolpinghauses. Dieses wurde bis zum Krieg als Tiefgarage vermietet. Jetzt ist es der Umschlagplatz für alle Hilfslieferungen.
Die Hilfstransporte versorgen eine Kolpingküche, unterstützen Flüchtlinge in Czernowitz oder werden in östliche Landesteile und in Frontnähe gebracht. Hier ist alles willkommen, was Familien zum Leben bzw. Überleben benötigen.

Mit dem Auto fahren wir zur Kolpingküche. Vasil erklärt stolz, dass Kolping zu Beginn des Krieges innerhalb von zwei Tagen eine Küche eingerichtet hat, um die vielen Flüchtlinge zu versorgen. Da ab Kriegsbeginn der Schulunterricht ausfiel, konnte man eine Schulküche nutzen. Zur Schuldirektorin hatte man gute Verbindungen. Nach dem Sommer wurde jetzt der Schulbetrieb wieder aufgenommen und man musste sich einen neuen Standort suchen. Jetzt wird eine frühere Werkskantine eines Ziegelsteinwerkes genutzt.
Die Küche wird durch Ehrenamtliche betrieben. In den ersten Tagen waren es die Teilnehmer:innen der Kolping-Senioren-Universität, die sich direkt bereit erklärten, das Kochen zu übernehmen. Neu aktiv sind jetzt viele Binnenflüchtlinge, die so einen Betrag für die Gemeinschaft leisten wollen.
Gekocht werden täglich über 600 warme Mahlzeiten, bestehend aus Suppe, Hauptgang und einem Nachtisch. Heute gab es Borschtsch, eine Suppe mit Rote Beete, Hühnchen mit Reis und Salat und einen Bratapfel.
200 Essen werden direkt vor Ort von Flüchtlingen und Bedürftigen abgeholt. 50 Essen gehen an Mitarbeiter:innen einer Zivilschutzorganisation und 250 Essen werden direkt an eine Flüchtlingsunterkunft geliefert. Diese wird durch eine andere Hilfsorganisation betreut. Da es dort keine Küche gibt, hilft Kolping hier aus. Dafür liefert die andere Hilfsorganisation Lebensmittel, wie z.B. eine Tonne Mehl in der letzten Woche.
Anschließend fahren wir zur Schule Nr. 3 in Czernowitz. Im Schulgebäude werden 18 Flüchtlinge durch Kolping unterstützt. Mehrere Klassenräume wurden mit Doppelstockbetten ausgestattet und eine Küche eingerichtet.
Hier betreibt Kolping ein Waschmaschinenprojekt. Vier Waschmaschinen werden von einer Mitarbeiterin betreut und dienen zur Reinigung der Wäsche der Flüchtlinge, der Schule und der Kolpingküche. In einem Klassenraum nähen Freiwillige Taschen für das Militär.
Stolz zeigt man mir den neuen Schutzraum im Keller. Die Fenster sind vermauert oder mit Sandsäcken verschlossen. Die alten Türen hat man mit 3 mm dicken Stahlplatten verstärkt. Auf der Rückseite wurde ein zweiter Ausgang geschaffen. Die Räume sind mit Schulstühlen gefüllt. Nur schmale Gänge hat man gelassen. Notdürftig hat man 2 Toiletten abgetrennt. Die Belegung wird mit den Schülern regelmäßig geübt. Jeder hat seinen festen Platz. Mich beeindruckt die Vorbereitung, macht mich aber auch nachdenklich und traurig.
Ich bin tief beeindruckt. Von den Aktivitäten des Kolpingwerkes in der Ukraine, vom Engagement von Vasil Savka, den Kolpingmitarbeiter:innen und allen Menschen, die ich dort getroffen habe. Durch ihre Arbeit, ihren Mut, ihren Durchhaltewillen und ihre Tatkraft für die Menschen vor Ort, die Flüchtlinge und für ihr Land leisten Sie unendlich viel. Manchmal denke ich, wir sollten uns davon eine Scheibe abschneiden. Ich habe ein Kolpingwerk erlebt, in dem beherzt angepackt wird, in dem Lösungen gesucht und gefunden werden. Wie sagte schon Adolph Kolping: „Es ist keine Zeit zu jammern, sondern es ist Zeit zum Handeln.“
Beim Abschied bedankt sich Vasil Savka herzlich für die Unterstützung aus dem Diözesanverband Münster. Ohne die Spenden und die Finanzierung über Kolping International wären die Arbeit und die Unterstützung der Menschen in der Ukraine nicht möglich. Ich habe in den letzten Jahren viel vom Kolpingwerk weltweit kennenlernen dürfen. Der Besuch in der Ukraine gehört zu den bewegenden Momenten. Dazu kommt ein Gefühl von Stolz. Das internationale Kolpingwerk, die Kolpingmitglieder in der Ukraine, in Rumänien und in Deutschland halten zusammen und ermöglichen gemeinsam diese Arbeit, diese Hilfe und Unterstützung.
Wie sagte schon Adolph Kolping: „ Gott stellt jeden dahin, wo er ihn braucht.“

LKWs an der Grenze zur Ukraine
Kolpingwerk-Akteure bei Hilfstransporten in die Ukraine
 
 

Anschrift

Kolpingwerk Diözesanverband
Münster e.V.

Gerlever Weg 1
D-48653 Coesfeld

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Telefax: 02541 / 803-414
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